Olaf Kühl. Der wahre Sohn (Roman)
Rowohlt Berlin 2013

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„Der wahre Sohn“ heißt der neue Roman von Olaf Kühl, sein zweiter nach dem vor zwei Jahren erschienenen „Tote Tiere“. Kühl, Jahrgang 1955, ist ein renommierter Übersetzer aus dem Polnischen und Russischen und einer der besten Kenner der osteuropäischen Literaturen.

Zunächst vermutet man in Kühls Buch eine Detektivstory, dann erwartet man eine Art Road-Movie, und heraus kommt eine, nein: kommen zwei Familiengeschichten.  Ganz unaufdringlich lässt Olaf Kühl die wechselvolle und gewaltreiche ukrainische Geschichte aufscheinen, bleibt dabei aber immer nah an seinen Figuren. (...)

Da hat der gestohlene Wagen als Spannungselement und einleuchtende Erklärung für Konrads Verhalten mittlerweile auch beim Leser ausgedient, aber für diese kleine Konstruktionsschwäche wird er mit komplexen Charakterstudien reich entschädigt - und mit einer souveränen, rhythmisch schwingenden Prosa, die Konrads hilflose Suchbewegungen, Arkardijs hochsensible Beobachtungen und Svetlanas brüchige Gewissheiten eindrucksvoll spiegelt. Kühl ist mit „Der wahre Sohn“ nicht nur ein stiller, feiner Roman über die Kluft der Lebensalter und die schwierige Suche nach Wahrheit gelungen, sondern auch eine literarisch beeindruckende Reflexion über das, was Familien trennt und was sie zusammenhält.

Vor allem aber ist das Buch eine ukrainische Seelenkunde von einem so aufmerksamen wie zugewandten Beobachter. Liebeserklärungen an das Ukrainische durchziehen den Roman."

Felicitas von Lovenberg , Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Oktober 2013


"Und dann gibt es Arkadijs ehemalige Kinderfrau Olha, die einst genauso dubios verschwand wie Konrads Mutter. Mit unterschiedlichen Interessen, aber ähnlichen Traumata machen sich Konrad und Arkadij auf die Suche nach Olha. Das gestohlene Auto weist die Spur und wird vom Symbol der Jagd nach etwas Verlorenem zur katalysatorischen Kraft dieses mit Psychoanalyse, Thrillerelementen und Zeitgeschichte gespickten Romans.
Ganz selten nur gleitet Kühl ins Seichte und Tendenziöse. 'Das Slawische bewahrte Svetlana vor der völligen Vertrocknung.' Oder, als Konrad eine ukrainische Hotelnutte empfängt, kann er 'so betrunken gar nicht sein, dass man die innere Landkarte, auf der der Körper der Frau verzeichnet ist, vergisst'. Diese Sätze stechen heraus, weil sie dem feinen, wunderbar leicht erzählten und doch hochreflektierten Roman wehtun. Ein Happy End gibt es nicht. Denn wer wiedergeboren werden will, muss erst einmal sterben."

Mathias Schnitzler, Berliner Zeitung, 16./17. November 2013.

"Der wahre Sohn" hat es zurecht auf die Longlist des deutschen Buchpreises geschafft. Olaf Kühl hat in seinem zweiten Roman eine vielschichtige und psychologisch interessante Geschichte geschrieben: Der Mittdreißiger Konrad flieht vor seinen persönlichen Problemen in Berlin und lässt sich deshalb von den Geheimnissen, die ihn auf seiner Suche in Kiew erwarten, nur allzu gern ablenken. Die Suche nach dem Auto wird mehr und mehr zu einer Suche nach sich selbst. Ein Roman, der nicht mit großen Effekten daherkommt und trotz seiner Thrilleranleihen ganz subtil und ruhig seine Geschichte erzählt. Spannung wird durch Stimmung erzeugt. Die Figuren sind fein gezeichnet, der Autor nimmt sich viel Zeit, ihre Abgründe zu erforschen. Ein intelligenter Roman, der großes Lesevergnügen bereitet, indem er die leisen Töne anschlägt."

Christoph Ohrem, WDR5-Literaturmagazin, 7. Dezember 2013

"Olaf Kühl hat mit “Der wahre Sohn” einen Roman geschrieben, der, trotz der spannenden Elemente und der Jagd nach einem Auto, weniger Kriminalroman ist, als ein großer Familienroman, der einen Blick in die Abgründe der Familie und der ukrainischen Geschichte wirft. Es geht um Sehnsucht und darum, dass Sehnsucht sich irgendwann nicht mehr heilen lässt, wenn sie zu lange besteht. Es geht um Lücken, die sich nicht mehr schließen lassen. Es geht um traumatische Erlebnisse in der Kindheit, die man aufarbeiten muss, um weiterleben zu können. Es geht um Lügen und Verrat, Geheimnisse und Unwahrheiten. Es geht um die Rolle der Mutter, die hier in allen Facetten ausgeleuchtet wird. Die Geheimnisse der Familie von Svetlana und Arkadij hatten Jahrzehnte bestand, so lange, bis Konrad Krynitzki kommt und eher durch Zufall in eine ungeheure Geschichte hinein gerät und sich in dieser so tief verstrickt, dass er irgendwann nicht mehr weiß, wie er herauskommen soll … Das Ende des Romans ist fulminant, die Grenzen zwischen Wahrheit und Erfindung lösen sich auf den letzten Seiten immer stärker auf – es ist nicht immer leicht, diesem plötzlich rasanten Erzähltaumel zu folgen.

Olaf Kühl legt mit “Der wahre Sohn” einen vielschichtigen Roman vor, der vor allem durch eine unbändige Erzähllust und eine spannende Geschichte besticht."

Mara Giese in ihrem Blog Buzzaldrins,
8. Oktober 2013

"Die besten Bücher des Herbstes:
Ein später Bruder der kalifornischen Privatdetektive aus den Romanen von Raymond Chandler oder Dashiell Hammett ist der vom Leben lädierte Schnüffler Konrad Krynitzki, der sich von Berlin aus auf die Suche nach einem offenbar geklauten Luxusauto macht und in Kiew landet. Der als Übersetzer unter anderem aus dem Polnischen sehr angesehene Autor Olaf Kühl, Jahrgang 1955, beschwört in seinem zweiten Roman eine zwar von Kriminalität und Vergangenheitsgespenstern gepeinigte, aber krachend vitale Wuselgesellschaft. Der Held trifft in der Ukraine auf eine höchst merkwürdige, aber sehr reizvolle Witwe namens Svetlana und deren Sohn, der in einem Irrenhospital zu Hause ist; vor allem aber hadert er mit den Dämonen der eigenen Familiengeschichte. Während er in abenteuerliche Verstrickungen gerät, begreift er eine Spur zu langsam, "dass dies eine Fahrt ins Nirgendwo werden konnte". Trotz mancher Temposchwächen und eines bisweilen gestelzten Tons gelingt Kühl eine kunstvoll komponierte Detektivstory, deren Held im Wilden Osten zwar nicht das Glück, aber eine Art von Durchblick findet."


Wolfgang Höbel, KulturSPIEGEL 10/2013.

"Da es zu Konrads Recherche-Methoden gehört, sich sehr genau mit den Menschen zu beschäftigen, die sich im Dunstkreis des gestohlenen Objekts befinden, und diese anschließend in Konstellationen auf Papier festzuhalten, weicht er nicht von Svetlanas Seite. Die schlaue und belesene Ukrainerin mit einem Faible für Deutsche lässt sich von Konrad zwar nur schwer Informationen entlocken, findet aber Gefallen am Interesse Konrads. Dieser lernt schließlich Svetlanas Adoptivsohn Arkadij kennen, der in einer psychatrischen Klinik lebt und nur ein Ziel hat: sein früheres Kindermädchen Olha ausfindig zu machen. Konrad wird tiefer und tiefer in die Geheimnisse und Bedürfnisse dieser Familie hineingezogen und lernt dabei einiges über seine eigene Familie und sich selbst. Und irgendwie hängt auch alles, was Konrad während seiner mittlerweile unzähligen Tage in Kiew herausfindet, mit dem Mercedes 500 SE zusammen. Konrad weiß nur noch nicht genau, auf welche Weise. Während er die Puzzle-Teilchen mühsam zusammensetzt, merkt Konrad nicht, dass er selbst schon unter Beobachtung steht.

Das Besondere an “Der wahre Sohn”

Wer denkt, dass ein Roman über ein gestohlenes Auto langweilig sein muss, irrt. Olaf Kühl versteht es, aus seinem Stoff einen Krimi zu schmieden, in dem er den Protagonisten und somit den Leser Stück für Stück Rätsel lösen lässt. Dieses langsame Enthüllen der Informationen ist sehr spannend und macht den Roman zu einem echten Page-Turner.

Was den Roman aber abgesehen davon so besonders macht, sind die psychologischen Einblicke, die man in die Roman-Figuren erhält. Sei es über Svetlana, deren Verhalten Konrad immer wieder analysiert, oder sei es ihr Adoptivsohn Arkadij, über dessen Psyche man sehr viel durch psychiatrische Gesprächsprotokolle oder auch direkte Gespräche mit (ehemaligen) ihn behandelnden Ärzten erfährt. Oder sei es über Konrad selbst, der sich regelmäßig selbst hinter- und befragt, an dessen Gedankenstrom man als Leser direkt beteiligt ist und über dessen Handlungen man ebenfalls viel über ihn erfährt. Olaf Kühl zeigt in “Der wahre Sohn” auf intensive Weise, wie die familiäre Vergangenheit einen Menschen prägt und wie schwierig es ist, aus den so entstandenen Mustern auszubrechen.

Zuletzt sei noch die Sprache des Romans hervorgehoben. Olaf Kühl benutzt ganz neue, bildreiche Vergleiche, zu denen man beim Lesen nicht nur sofort ein Bild vor Augen hat, sondern auch direkt das passende Gefühl empfindet. Allein schon rein sprachlich gesehen ist “Der wahre Sohn” ein wunderbares Buch.

Quelle: www.mein-ukraine-blog (Valeria Geizer), Text von Stefanie (leselink.de).


Ukrainisch

„Спражній син“ - таку назву має новий роман Олафа Кюля. Його перший роман - „Мертві тварини“ вийшов два роки тому. Олаф Кюль (1955 р.н.) - відомий перекладач з польської та російської мов. Він є одним з найкращих знавців літератури з теренів східної Європи. 

На початку книги складається враження, що читаєш детектив, згодом - наче тримаєш у руках роуд-муві, але врешті вияляється, що насправді це одна, та ні, цілих дві сімейні історії. Автор ненав“язливо  гортає сторінки української історії, сповненої катаклізмів та насильства. Водночас він не втрачає тісного зв“язку зі своїми героями.

Украдене авто як елемент інтриги і ключ до поведінки Конрада – доволі поширений і добре знайомий читачеві сюжет. За цей дрібний ґандж читач отримує щедру винагороду у вигляді комплексного дослідження різних типів характеру, суверенну, ритмічну прозу, яка чудово відображає безпорадні пошуки Конрада, навразливу спостережливість Аркадія та крихку впевненість Світлани. Це не лише неспішний, вишуканий роман про прірву між поколіннями та складні пошуки правди, а й переконливий літературний аналіз факторів, які роз“єднують та об“єднують родину.

 Проте, насамперед, ця книга– польові дослідження української душі. Спостерігач неймовірно уважний та прихильний до об“єкта своїх досліджень. Цей роман – наскрізне освідчення в любові до України та українців.

 Felicitas von Lovenberg, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Oktober 2013

Феліцітас фон Льовенберґ, „Франфуртер Альґемайне Цайтунґ“, 7 жовтня 2013 р.