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Olaf Kühl

Dankesrede nach der Verleihung des Helmut-M.-Braem-Preises

Wolfenbüttel, den 23.6.2018

 

Liebe Helga Pfetsch,

verehrter Freundeskreis,

liebe Jury,

liebe Freunde und Kollegen,

lieber Hauke Hückstädt !

 

Die schönsten Preise sind die, die man überhaupt nicht erwartet hat. Erwarten sollte man Auszeichnungen ohnehin nie, denn Juryentscheidungen sind unwägbar. Ich komme gleich darauf zurück.

Hauke hat mich ein bisschen sentimental gemacht mit dem historischen Bogen, den er geschlagen hat zu seinem Liebling Andrzej Stasiuk.

Mit Stasiuk fing für mich das Reisen an, in jeder Hinsicht. Vorher hatte ich nur tote Autoren übersetzt oder solche, die sich öffentlich wenig produzierten. Mit Gombrowiczs Tagebüchern bin ich in den 80er Jahren durch die Lande gezogen, durfte erleben, was Schauspieler wie Otto Sander oder Udo Samel aus diesem Text machten. Mit polnischen Klassikern der Moderne wie Wacław Berent war kein Publikum anzulocken. Adam Zagajewski machte sich rar.

Mit Stasiuk also fing das Reisen an. Seit 1998 auf Lesetouren, kreuz und quer durch die deutschsprachigen Länder. Zehn Jahre später brachen wir dann auf eigene Faust auf, nach Russland, in die Mongolei, nach China. Reisen schweißen zusammen. Unsere Freundschaft bekam einen Riss just in dem Moment, als ich anfing, über ihn zu schreiben (in dem Roman Tote Tiere). Vielleicht nur einen Haarriss, aber immerhin.

So symbiotisch die Beziehung zwischen Autor und Übersetzer ist, so fragil ist sie auch immer.

Ernst Jüngers französischer Übersetzer Henri Plard hat bei dem Buch Die Arbeiter die Zusammenarbeit verweigert, weil er dieses Buch für „schlecht geschrieben und faschistisch“ hielt. Damit ging eine langjährige enge Zusammenarbeit und Freundschaft zu Ende. Die Weltliteratur kümmerte das nicht, sie ging darüber zur Tagesordnung über.

Dorota Masłowska, die einzige Autorin, auf die ich wirklich eifersüchtig werden könnte, raffte vor Jahren bei einer Silvesterfeier mehrere als 100-Euro-Noten bedruckte Servietten zusammen, schob sie mir hin und sagte: „Olaf, das ist deine Abfindung. Ab sofort übersetzt mich Esther Kinsky“. Zum Glück war das ein Witz.

Seit Dorota Masłowskas „Reiherkönigin“ und Tomasz Różyckis „Zwölf Stationen“ betrachte ich mich insgeheim auch als Lyrik-Übersetzer, jedenfalls jener Art von Lyrik, die nicht nur einfach in Zeilen gebrochene Prosa ist, sondern formale Herausforderungen an den Übersetzer stellt. An der „Reiherkönigin“ habe ich zwei Jahre gearbeitet, habe mir meine Übersetzung immer wieder zu selbst improvisiertem HipHop am Klavier vorgesungen, habe ihr nachgehorcht und daran gefeilt, bis sie rhythmisch und klanglich stimmig war. Keine der beiden Übersetzungen ist je mit einem Preis ausgezeichnet worden. Das meinte ich mit der Unwägbarkeit von Juryentscheidungen. Ich könnte den heutigen Preis als ausgleichende Gerechtigkeit betrachten. Aber Gerechtigkeit gibt es nicht. Mein alter Freund Friedrich Griese hat etwa zweihundert großartige Übersetzungen schwierigster philosophischer und literaturwissenschaftlicher Texte vorgelegt. Er hat mich als jungen Übersetzer zu der Übertragung von Lech Wałęsas Autobiographie hinzugezogen und ich habe erlebt, wie penibel und kreativ er in seiner Arbeit war. Wenn es stimmt, was er mir kurz vor seinem Tod gesagt hat, dann hat Friedrich zeit seines Lebens keinen einzigen Literaturpreis bekommen. Heute muss ich an ihn denken. Friedrich, Ruhe in Frieden.

Das Wunderbare am Übersetzerdasein ist, dass man im engen Kämmerlein der eigenen Persönlichkeit, im Gefäß der eigenen Sprache keine Atemnot bekommt. Bevor das eintritt, naht meist schon Entsatz von draußen, pflügen fremde Existenzen, andere Denkweisen dich und das, was man im Deutschen „Wesen“ nennt, auf.

Vor einiger Zeit habe ich in einem Interview für das Goethe Interview Warschau gesagt, dass mich die polnische Literatur im Augenblick ein bisschen langweilt. Dass ich die Hoffnung hege, irgendwo in der Provinz könnte eine ganz junge, vielleicht aber auch schon ganz alte, noch völlig unbekannte Autorin darauf warten, entdeckt zu werden. Einige Wochen später rief mich eine Frau aus Niederschlesien an und sagte, sie sei diejenige, auf die ich warte.

Leider war sie es nicht.

Dafür kommen andere. Im Herbst erscheint Żanna Słoniowskas Licht der Frauen. Der polnischsprachige Roman einer Frau mit ukrainisch-russischen Wurzeln, deren Sprache von subtilen Symptomen dieser Kulturmischung geprägt ist. Mich freut dieses Buch zum einen, weil es den Bogen schlägt zu den von mir ebenso geliebten ostslawischen Literaturen – zu einem Andrij Bondar oder Jurij Andruchowytsch, aber auch weiter zu den Russen – beispielsweise Arkadij Babtschenko. Und es freut mich, dass ich endlich einmal wieder einer weiblichen Autorin meine deutsche Stimme verleihen durfte. Nach all den harten Kerlen, nach Stasiuk und Twardoch.

Zum Ende dieser etwas erratischen Rede möchte ich Ihnen einige Zeilen aus einem größeren Poem vortragen. Sie stammen von einem Dichter, den ich ganz besonders hoch schätze:

Euer Dschiguli brettert über die Autobahn.

Die Fugen zwischen den Platten

sind Musik für die Wirbelsäule.

Benommen prescht ihr durch den Raum

aus Himmel, Waldsaum und Formbeton,

der sich im Spiegel rücklings verjüngt wie ein Ypsilon.

Das Klappern der Armaturen und der Geruch von Gummi,

Öl und Minolbenzin ruft ein Fernweh zurück,

das Druck auf die Augen ausübt. Oktober,

der Wischer schrammelt wie Bulat Okudschawa.

Der 12hunderter hatte rote Kunstledersitze,

es sieht aus, als säßet ihr auf Klosetts.

Und plötzlich, ab Wandlitz, summt Teer unterm Wagen,

ihr seid in Berlin.

Bei so etwas juckt’s einem geradezu in den Fingern, das zu übersetzen. Leider steht es schon da - in dem überwältigenden Deutsch von Hauke Hückstädt. Zeilen aus seinem Großgedicht Tutti Frutti.

Ich danke Hauke für sein inspirierendes Lob. Ich danke meinem hier anwesenden Lektor Wilhelm Trapp von Rowohlt Berlin, ohne den Twardochs Boxer und viele, viele andere Bücher nicht das geworden wären, was sie sind.

Ihnen allen danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Olaf Kühl