Stefanie Peter

Laudatio von Olaf Kühl zur Verleihung des Verdienstkreuzes in Gold der Republik Polen

am 18. November 2008, 16.00 Uhr, in der Botschaft Lassenstrasse.

Exzellenz,

verehrte Gäste,

liebe Freunde,

liebe Stefanie Peter!

Stefanie Peter gehört zu den seltenen, zum Glück immer häufiger werdenden Fällen, in denen das Interesse - und die Begeisterung - für Polen und seine Kultur nicht zwangsläufig durch Herkunft und familiäre Bindungen voraus bestimmt waren.

Zwar ist sie (am 27.10. 1966) in Dortmund geboren. Also im Ruhrpott, wo das Polnische durch die große Einwanderung am Ende des 19. Jahrhunderts stark vertreten ist und wo heute schätzungsweise 1/3 der Bevölkerung polnische Wurzeln hat. Wenn der Gelsenkirchener Fußballverein Schalke 04 zu Freundschaftsspielen nach Schlesien in Polen reiste, kamen immer ¾ der Spieler bei Verwandten unter und brauchten kein Hotel. Das ist eine der vielen Dinge, die ich von Stefanie oder bei einer von ihr organisierten Veranstaltung gelernt habe.

Zweitens ist Stefanie katholisch erzogen – auch keine schlechte Voraussetzung, um Zugang zu so manchen Eigenheiten des polnischen Denkens zu finden.

Aber damit hat es sich auch schon. Nichts weiter deutete auf Polen hin.

Auch zum Studienfach wählte sie sich nicht Polonistik oder Slawistik. Stefanie entschied sich überhaupt noch nicht für einen bestimmten Gegenstand, eine bestimmte Sprache oder Kultur. Sie wählte nicht das Objekt, sondern das Werkzeug: Sie studierte Ethnologie und Kunstwissenschaften – also die Art und Weise, wie man kulturelle und nationale Eigenheiten insgesamt untersuchen und verstehen kann.

Dazu kamen (an der Uni Hamburg und der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg) britische Literatur und Kultur – und – man staune - Afrikanistik. Stefanie Peter trieb Feldforschungen in Sansibar (Tansania) zum Thema „Dala-Dala. Taxis in Zanzibar Town“. (Irgendwo habe ich den Titel gefunden „Sammeltaxis in Sansibar“ – oder vielleicht nur geträumt? Diese Alliteration spräche jedenfalls für ihr feines stilistisches Gehör. Und Schreiben ist etwas, das sie schon immer wollte; schon 1986 hat sie ein Redaktionspraktikum in der Hagener Westfalenpost absolviert.) Sie sprach damals sehr gut Kishuaeli und hat diese Sprache eine Zeitlang sogar unterrichtet. Ihre Magisterarbeit schrieb sie über „Zanzibar in den Berichten deutscher Reisender und Forscher des 19. Jahrhunderts“.

Und dann die – wie auch immer verursachte - Wende: Ein Jahr nach der Magisterarbeit (1994) ging sie nach Krakau und studierte dort Polnisch am Instytut Polonyjny. Das war der Beginn einer Liebe, die länger währen sollte als die afrikanische.

Der längere Aufenthalt in Krakau rückte wie selbstverständlich Auschwitz in ihr Blickfeld.  Sie betrieb regelmäßige Feldforschungen in Polen. In diesen Jahren lebte sie auch mehr in Krakau, als in Hamburg. Es kam zu der Projekt-Mitarbeit in Auschwitz. Daraus entwickelte sich ihr Dissertationsprojekt „Maximilian Kolbe. Die Entstehung eines Heiligen“ (an der Europa-Universität Viadrina).

In ihrer Dissertation untersuchte sie, wie das Bild eines Heiligen entsteht, wie es konstruiert wird auf der Basis von Reliquien und mündlichen Erzählungen, die zu Mythen werden. Hier dominiert der Blick von außen (Karl Mannheims „Außensicht“), auch wenn sie selbst das Katholische durch eigene Prägung gewiss gut von innen kannte. Die Arbeit ist eine brillante Analyse, ohne gefühlige Identifikation mit dem Beschriebenen, aber auch ohne jede relativierende Ironie. Eine fundierte Analyse der semantischen und sonstigen Verfahren, mit denen die katholische Lehre sich das Phänomen des Massenmords im Dritten Reich in Gestalt eines polnischen Märtyrers aneignete und mit Sinn erfüllte.

Die Folge ist, dass wir bis heute aus Stefanies Feder bzw. ihrem Munde nicht viel mehr über Afrika und die Sammeltaxis in Sansibar erfahren haben, wohl aber sehr viel mehr über polnische Literatur und Kultur im weitesten Sinne.

Ich persönlich schätze Stefanie vor allem für ihre inspirierenden und dichten publizistischen Texte. Die ältesten von mir entdeckten Texten stammen aus der ersten Hälfte der 90er Jahre, darunter schon bald sehr viele für jene Zeitung, die immer die klugen Köpfe verdeckt. Ich bewundere Stefanies Kunst, eine Vielzahl von gründlich recherchierten Informationen stilistisch so zu vermitteln, dass die Lektüre zu einem ästhetischen Vergnügen wird.

Ich schätze ihre Rezensionen sogar dort, wo sie von mir geschätzte Autoren auf dezente Weise verreißt. „Irgendwo muht immer eine Kuh“, schrieb sie über Andrzej Stasiuks Buch Fado. Im persönlichen Gespräch wird sie gelegentlich noch deutlicher. Man wünschte sich oft mehr von dieser Art unabhängiger Kritik im deutschen Feuilleton. Als Rezensentin polnischer Literatur hat sie zudem den Vorteil, dass sie dank ihrer Sprachkenntnisse auch die Qualität der Übersetzung beurteilen kann.

Andrzej Stasiuks jüngstem, wegen der darin enthaltenen Stereotypen viel kritisiertem Buch Dojczland konnte Stefanie dagegen einiges abgewinnen. Und das hat einen bestimmten Grund.

Ich vermute, sie als Ethnologin konnte sich gut in die Wahrnehmungsart dieses Autors hineinversetzen, der in ein fremdes Land kommt, dessen Sprache er nicht beherrscht und dessen Kultur er sich ganz allein aufgrund von Verhaltensweisen, Blicken und Sitten erschließen muss. Sie las dieses Buch Stasiuks vermutlich wie eine Art literarischen Bronisław Malinowski, jenen berühmten polnischen „Vater der Feldforschung“.

„Natur und Kultur sind für den Ethnologen ebenso unmittelbar miteinander verknüpft wie die Gegenwart mit einer unvordenklichen Vergangenheit,“ schrieb Stefanie in ihrer Würdigung zum 100. Geburtstags des vielleicht größten aller Ethnologen – Claude Lévi-Strauss (in der neuesten Nummer von LITERATUREN). Diese Blickweise hat auch sie selbst geprägt. Für sie erschöpft sich die Welt nicht in der schriftlichen Kultur. Wer sich mit ihr unterhält, dem fällt bald auf, wie viel Aufmerksamkeit sie der Mode und der Entwicklung von Kleidung und Design schenkt, nicht aus seichter Eitelkeit, sondern weil sie derlei äußerliche Dinge als Zeichensysteme interpretiert, die auf tiefere Zusammenhänge schließen lassen.

Neben einer leicht zuschnappenden Ablehnung, wenn sie mit der ihr eigenen Schnelligkeit feststellt, dass ihr etwas nicht gefällt, ist es gerade diese große Offenheit, die Stefanies Geisteshaltung kennzeichnet. Daraus erklärt sich das weite Spektrum ihrer publizistischen Themen. Sie schrieb über Polens Ostseebäder (ohne noch Witkowskis Lubiewo zu kennen), über den Skispringer Adam Malysz und die polnische „Volkskrankheit“ der Schüchternheit; über ein Konzert von Blixa Bargeld in Krakau, über materielle Überreste des Holocaust, die neben Nazi-Devotionalien auf dem Krakauer Flohmarkt verramscht werden; über Jedwabne und die Verdrängung des Pogroms von 1941, aber auch über den Marienkult in Marpingen im Saarland, das Rumänien von heute und... und... und... Man erkennt sehr wohl das semantische Koordinatensystem, das all diese Themen miteinander in Bezug setzt. Gleichwohl ist ihr Spektrum beeindruckend. Und nimmt man wieder die Sammeltaxis von Sansibar hinzu, dann erscheint es dem Betrachter immer weniger selbstverständlich und als ein umso größerer Segen, dass sie mit dieser lebendigen Neugier und dieser Intelligenz ausgerechnet der polnischen Kultur soviel Aufmerksamkeit schenkt.

Gerade weil ich ihre Texte so sehr schätze, habe ich persönlich es ein wenig bedauert, dass Stefanie 2003 zur Leiterin des Büros Kopernikus ernannt wurde (2004 – 2007) – weil sie dadurch nämlich weniger Zeit zum Schreiben fand. Sie selbst allerdings wird es genossen haben, den materiellen Unwägbarkeiten des freien Journalistendaseins eine Zeitlang enthoben zu sein. In dieser Phase konnte sie zudem beweisen, was sie noch alles kann außer Schreiben. Sie kann Interessantes aus dem Schatten herausholen, kann Unbekanntes in Ecken und Winkeln finden, in die sonst niemand hineinschaut, kann Menschen zusammenführen, organisieren und koordinieren. Ein polnisch-deutscher Kulturaustausch existierte zwar schon seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Er drohte aber in bestimmten Mustern zu erstarren. Bei polnischer Kultur dachte man reflexartig an Jazz, Plakatkunst, Literatur und vielleicht noch Kieslowski. Zudem war die Aufmerksamkeit auf die jeweiligen Metropolen fokussiert. Mit all diesen Beschränkungen räumte das Büro Kopernikus, unterstützt von einem Expertengremium, gründlich auf. Damals konnte man Stefanie sehr oft im Berlin-Warschau-Express antreffen. Sie reiste unermüdlich – auf der Suche nach interessanten Projekten, nicht nur in der polnischen Hauptstadt, sondern gerade an den Peripherien und in der Provinz. Sie wollte die Potenz ihrer von der Kulturstiftung des Bundes ins Leben gerufenen Einrichtung nicht einfach nur dafür verwenden, ein paar weitere großartige Ausstellungen und Gastspiele zu organisieren. Sie wollte nachhaltige Arbeitsbeziehungen schaffen, eine längerfristige Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Kulturinstituten anregen, die auch nach der Abnabelung vom Büro Kopernikus überlebensfähig sein sollten. Der Schwerpunkt lag auf der zeitgenössischen bildenden Kunst und den elektronischen Medien.

Daraus ergaben sich oft ganz überraschende Verbindungen von Kunstarten und Schauplätzen: etwa das Projekt Skarbek über die polnische Sagenfigur, ein Theaterprojekt zwischen bildender Kunst und Tanz in stillgelegten Gruben der Bergbaustand Bytom. Oder ein interdisziplinärer Workshop für Choreographen in dem Gerhart-Hauptmann-Ort Agnetendorf in Schlesien. In Erinnerung bleiben wird die Mobile Akademie in Warschau, eine interdisziplinäre Sommeruniversität, mit ganz unkonventionellen Lehrformen ebenso wie die Fußballtalkshow in der Arena auf Schalke, die den deutsch-polnischen Fußballbeziehungen gewidmet war und alte Kämpfer wie den heute wieder häufig erwähnten Grzegorz Lato und den Sportkommentator Rudi Michel, ebenso zu Wort kommen ließ wie Jüngere, etwa Wojciech Kuczok und Dirk Schümer. Fußball unbefangen als Phänomen der Kultur zu betrachten, ist an sich schon nicht selbstverständlich. Es folgt aber ganz natürlich aus Stefanie Peters ethnologischer Denkweise.

Berührungsängste kennt sie nicht, und wäre das Etikett nicht so abgegriffen, müsste von Unkonventionalität sprechen. Stefanie hat einen Blick für das Junge, das noch nicht Etablierte. Davon zeugt das Hip-Hop-Konzert auf der Oderbrücke zwischen Frankfurt und Slubice, davon zeugt ihre frühe Anerkennung des genialischen Talents von Dorota Maslowska, davon zeugt aber auch die Mitarbeit an förderungswürdigen Publikationen wie dem Magazin Polenplus.

Die Jahre von Büro Kopernikus waren insgesamt ereignisreiche Jahre für die deutsch-polnischen Beziehungen. In diese Zeit fielen der EU-Beitritt Polens, das deutsch-polnische Jahr, der Tod des polnischen Papstes und die Wahl seines deutschen Nachfolgers, die Diskussion um die Vertriebenenausstellung in Berlin und anderes. Es spricht für die von Stefanie inszenierten Projekte,  dass sie auch vor diesem Hintergrund deutlich wahrgenommen wurden und viel verändert haben. Dank der Arbeit des Büros Kopernikus hat die deutsche Kulturindustrie Polen oft zum ersten Mal in den Blick genommen. Das gilt auch für die großen deutschen Bühnen (Małgorzata Owsiany und Paweł Sala am Frankfurter Schauspielhaus) und Ausstellungshäuser.

Zum Abschluss des Kopernikus-Projekts wollte Stefanie nicht einfach nur ein großes Fest feiern, sie wollte etwas Nachhaltiges schaffen. Die vielen Anregungen, die während der vier Jahre des Büros Kopernikus entstanden waren, sollten aufgearbeitet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das Ergebnis war das Alphabet der Polnischen Wunder - die ganz andere polnische Enzyklopädie. Mit diesem – im doppelten Wortsinn - gewichtigen Band ist es Stefanie gelungen, ihren eigenen ethnologischen Scharfsinn und ihre Netzwerkfähigkeit in ein Produkt der ganz besonderen Art münden zu lassen. Die kluge Auswahl der Autoren, darunter der Verleger Pawel Dunin-Wasowicz, und eines eigenwilligen Grafikers, nämlich Maciej Sienczyk, trug ebenso maßgeblich zu dem Erfolg dieses Buches bei wie die subtile Vorgabe der Themen und sicher auch die unerbittliche redaktionelle Hand der Herausgeberin. Der gute Verkauf des Bandes ist ein Indiz, dass mit intelligenten Mitteln auch das Interesse solcher deutschen Leser geweckt werden kann, die bisher noch keinen Zugang zu Polen gefunden haben. Man darf zuversichtlich sein, dass diesem Werk weitere bedeutende Beiträge Stefanie Peters folgen werden.

Orden verbindet man gemeinhin mit älteren Semestern, als Stefanie es ist. An ihrer Brust kann man sich das große Verdienstkreuz in Gold gar nicht vorstellen. Aber sie wird es zu tragen wissen, und es wird ihr Ansporn zu weiterem Engagement sein. Möge ihr so die Wahlleidenschaft Polen immer mehr zum Schicksal werden – einem Schicksal, an dem beide Seiten partizipieren und von dem beide profitieren können.

Stefanie – meinen herzlichen Glückwunsch.