DIE ENERGIE KOMMT VOM RAND
BÜRO KOPERNIKUS – EIN PORTRÄT
Von Olaf Kühl
Wie viele Denkfiguren, ist auch die Vorstellung des
Allwissenden ohne den christlichen Glauben lebensfähig. Wo Gott war, bleibt
eine Leerstelle, die nach Füllung schreit. Deshalb ist der Normalbürger auch
nach seinem Kirchenaustritt überzeugt, irgendwo müsse jemand den Überblick
behalten haben. Das gleiche Grundvertrauen wie dem Eisverkäufer, dem er die
wässrige Kugel abnimmt, schenkt er seiner Regierung. Dabei ist bekanntlich
schon das menschliche Gehirn in sich zerstritten. Und wer jemals länger in einer
Behörde gearbeitet hat, durchschaut ihre inneren Widersprüche, ihre
Instabilität, ihre Unberechenbarkeit. Die Zentrale tut nur so. Sie ist heillos
überfordert. Haut der Chef mal auf den Tisch, dann geschieht das oft aus
persönlichen, irrationalen Gründen, selten aus kluger Analyse heraus.
Deshalb ist Vorsicht geboten, wenn diese Zentrale sich
anschickt, die Zapfpistole staatlicher – unserer! – Gelder irgendwo in die
polnisch-deutsche Kulturlandschaft einzuführen und Ausgewähltes zu betanken,
Neues ins Leben zu rufen.
Man sieht dem Büro Kopernikus auf den ersten Blick an,
wie sehr es sich dieser Gefahren bewußt ist. Schon mit seinem Namen nimmt es
den Topos der Zentrale auf die Schippe. Kopernikus ist ja gerade die Entdeckung
zu verdanken, daß die Erde eben nicht der Nabel der Welt sei. Und wer nennt
sich schon "Büro"? Büros sind die stickigen Lebenswelten, in denen
Robert Walsers Helden verkümmern. Büros sind die jalousienverhangenen Kabuffs,
in denen kundenhungrige amerikanische Privatdetektive ihre Beine auf den Tisch
fläzen. Ähnlich genregerecht verbirgt sich auch das Büro Kopernikus in einer
Kreuzberger Ecke, in der seit dem Mauerfall von pulsierendem Leben keine Rede
mehr sein kann.
Wie kommt es eigentlich, daß man solchen Geisterbüros die
zündende Idee, den entscheidenden Schlag eher zutraut als den
extrovertiert-glatten Cityfassaden? Das liegt nicht nur am sympathischen
Understatement. Es ist womöglich der Argwohn gegen die Mechanismen, mit denen
Wissen verwaltet und Öffentlichkeit hergestellt wird, so daß man Wirklichkeit
im emphatischen Sinne (jene Sphäre, wo noch etwas wirkt und bewirkt werden
kann) eher dort vermutet, wo sie noch nicht von der Macht annektiert ist, wo
der Suchscheinwerfer nicht hinreicht – das wäre gerade in den Schattenreichen, an
den Peripherien.
Die zentrifugale Kraft des Büros macht nicht beim eigenen
Namen halt. Das Büro praktiziert sie auch in seinen Projekten. Bewußt flieht es
die Umlaufbahn der Metropolen und sucht erfolgreich Interessantes in der
Provinz, oder pflanzt es erst dorthin: Industriestadtfuturismus in Wolfsburg
und Nowa Huta, tote Bergwerke und Elektropop in Beuthen, kreativen Tanz in
Agnetendorf, innovatives Radio in Stralsund und Breslau, Forschungsprojekte in
Münster und Oldenburg, Diskussionen in einer Motorhalle in Dresden und auf der
Danziger Werft.
Wo die Übermacht der Zentren nachläßt, kann das Netz
erstarken. Das schwer mißbrauchte Schlagwort "Vernetzung" ist hier
einmal wirklich angebracht. Gemeint ist heute natürlich vor allem das World
Wide Web. Radio Kopernikus zum Beispiel ist terrestrisch nur an wenigen Orten
zu empfangen, im Internet dagegen weltweit. Aber auch die Mobile Akademie, eine
Hommage an die "Fliegenden Universitäten" regimekritischer
Intellektueller im Polen der Vorwendezeit, verwirklicht das Prinzip des
neuronalen Netzes. Kein allwissendes Zentrum mehr, sondern eine schwach
hierarchische, von vielen getragene Wissensstruktur, wie sie z.B. in der Webenzyklopädie
Wikipedia zum Ausdruck kommt.
Diese Beispiele zeigen, wie geschickt, ja lustvoll das
Büro Kopernikus mit den Gefährdungen spielt und die Möglichkeiten nutzt, die
aus seiner Rolle als Initiativprojekt der Kulturstiftung des Bundes erwachsen.
Projektkoordinatorin Isabel Raabe ist ja ausgebildet dafür, mit Schwierigkeiten
zu tanzen. Bärbel Schürrle steuert slawistischen Sachverstand bei. Auch die
künstlerische Leiterin Stefanie Peter ist - zum Glück – keine typische
Kulturmanagerin. Sie zählt nicht zur Spezies der Verweser und Verwerter, die
die Primärkultur besiedelt wie ein Sporenpilz. Sie scheut das Öffentliche,
schwingt nicht gern große Reden. Wer nicht genau hinsah, lief deshalb Gefahr,
die Bedeutung des Büros für das Deutsch-Polnische Jahr erst einmal zu
unterschätzen.
Dabei war sie es, die mit sicherem Instinkt und
dezidiertem Geschmack, sich immer wieder der Kompetenz eines Expertenrats
vergewissernd, einige der innovativsten Partner in Polen gewann. Als einen
dieser Partner erwähne ich nur Paweł Dunin-Wąsowicz, den Verleger
Dorota Masłowskas und Herausgeber der Lampa, einer der
erfrischendsten Literaturzeitschriften des neuen Polen. In seiner Geisterbibliothek
sammelt er fiktive, im Ingardschen Sinne seinsheteronome Bücher, die ihr
Dasein nur der Hülle eines realen Werks verdanken, und berät aus dieser
Erfahrung heraus die "Mobile Akademie". Es ist schon verblüffend – je
länger man über die lokal und personell so bunte Vielfalt dieser Projekte
nachdenkt, desto reicher wird ihr innerer, gedanklicher Zusammenhang.
Der Geschmack des Büros Kopernikus ist jung, aber nicht
wahnhaft verengt. Zwar gibt es statt Polonaise und Volksmusik den Rapper Fisz
und die Berliner Puppetmastaz. Aber gleichzeitig geht der Blick offen und weit
in die Vergangenheit. Wie sonst wäre man auf die Idee gekommen, einen fast
vergessenen, aber immer noch ungemein anregenden Autor wie Tadeusz Peiper
wiederzuentdecken? Bei soviel Innovation soll dann meinetwegen auch Ewa Partum
entmottet werden und die verdiente Werkschau bekommen.
Die große Politik, verführt von Macht, Rohstoffen und
vermeintlicher "Seelenverwandtschaft", spannt den Bogen schon wieder
gefährlich weit nach Osten. Sie überspannt und übersieht dabei womöglich einen
Raum, in dem sowjetische Polittechnologen ohne die strukturierende Hand des
Imperiums sowieso nur noch eine "Mondlandschaft" (Igor F.
Maksimytschew) erkennen wollten. Diesen geopolitischen Koordinaten kann sich
das Büro Kopernikus, so tänzerisch es daherkommt, nicht entziehen. Die Düngung deutsch-polnischer
Graswurzeln ist immer auch eine Arbeit gegen die Eindeutigkeit der imperialen
Zentren. Auch in diesem Sinne ist der Anspruch des Büros berechtigt, nicht nur
bilaterale, sondern globale Projekte zu machen. Wenn einige dieser
Unternehmungen das Deutsch-Polnische Jahr überdauern und die Kontakte
weiterwachsen, ist viel erreicht.
© Olaf
Kühl